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Mit dem Roller nach Jerusalem...
Mauszeiger auf Foto zeigt Bildtitel, Texte / Fotos Audios © Burkhart Rüchel
Seite 10 - Bulgarien, Türkei
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2010_07_27 - Dienstag, Reisetag 107
Bulgarien. Die Grenzposten auf dieser Seite der Donau sind neugierig was im Kanister hinten drin ist - nach einem kurzen Blick ist auch hier alles erledigt, den Pass wollen sie gar nicht einsehen. Dummerweise ist es als ich das Zentrum von Russe erreiche nach 18.oo, alle Banken haben zu, zum Glück kaufte ich drüben noch Weissbrot und Knackwurst. Bin ohne einen Lewa, kann noch nicht mal ein Bier kaufen auf das ich solch Appetit habe. Auf dem Gelände des Krankenhauses - rundherum ist alles vermüllt, viele verwilderte Hunde - hoffe ich ungestört schlafen zu können, suche mir ein stilles, eingezäuntes Plätzchen wo ich mein Zelt aufbaue.
Doch nach Mitternacht tut es einen Schlag - ich bin sofort hellwach - und eine Fontäne flutet das Vorzelt! Wie von der Tarantel gestochen springe ich auf, reisse das Zelt auf, sehe nach der Ursache: ein unscheinbares schwarzes Plastikteil zu ebener Erde das ich ignorierte entpuppt sich als Rasen-Sprenger-Anlage! Das Ding sieht aber auch völlig anders aus als was man so kennt, bevor ich komplett geduscht bin kann ich das Ding wenigstens so blockieren dass der Wasserstrahl vom Zelt weg geht, in meinen Schuhen steht das Wasser, nach zwanzig Minuten ist der Spuk vorbei...
Tag: 60 km, gesamt: 3356 km
2010_07_28 - Mittwoch, Reisetag 108
Hoffte gut zu schlafen auf der frisch gemähten Wiese eines der Krankenhaus-Parks - von drei Seiten eingezäunt und so halbwegs sicher vor den vielen streunenden Hunden, das gelegentliche Husten der Patienten störte wenig. Früh kommt natürlich jemand - doch da bin ich schon am Packen und schnell abmarschbereit.
Der Krankenhauskomplex besteht aus verschiedenen Gebäuden - von klassizistischen Bauten vom Ende des 19. Jahrhunderts, Baracken, 50er Jahre bis zu modernen Hochhäusern. Ein paar Häuser verfallen, hinter dem Heizhaus wird gerade die kleine Kirche saniert.
Wie wohl in allen Krankenhäusern dieser Welt gibt es auch hier mindestens eine alte, vereinsamte Frau die meint Gutes zu tun indem sie den ganzen verwilderten Katzen dauernd Futter bringt. Das zieht natürlich auch viele wilde Hunde, Ratten und wer weiss was sonst noch alles an, und das vermehrt sich noch - ob das den Kranken bzw. der Hygiene förderlich ist?
Am Korso die Philharmonie, bei der Raiffeisenbank nahebei tausche ich 60 Eus zum Kurs von knapp 1:2, die Prozedur geht recht schnell, bloss Ausweis zeigen und eine Unterschrift - dann habe ich 116,88 Lewa. Ob die für Bulgarien reichen? Meine rumänischen 50 Lei wollen sie nicht.
Nach einem kleinen Einkauf setze ich mich in ein Cafe. Russe besteht zum überwiegenden Teil aus alten Neubauten der 1960-80er Jahre, viel mehr kann ich auf den ersten Blick nicht erkennen. Die Tankstellen gehören wie auch in Rumänien meist russischen Konzernen.
Mittlerweile wird die Zeit langsam knapp, muss ich bald an die Rückreise denken, stelle mir für die Route etwa das nördliche Griechenland, vielleicht Mazedonien, Albanien, Bosnien-Herzegovina, Kroatien nach Östereich vor. Alles Berge, da werde ich noch sehr zu kämpfen haben...
Obwohl überall w-lan zu finden ist zeigt das Scheiss netbook kein einziges an, verbringe zwei Stunden sinnlos bei dem Versuch meine Daten auf die homepage zu spielen. Keine Ahnung woran es liegt, eine Systemrückstellung klappt trotz mehrerer Versuche auch nicht. Diese Drecks-Technik - wieviel Nerven und Lebens-Zeit einen das schon gekostet hat !!!
Lange wird nun auf der Stadtautobahn E-70 aus der Stadt heraus bergauf geschoben, dann nehme ich den Abzweig nach Shtraklevo - eine Route durchs Bergland über die Dörfer. Das bulgarische Bier ist nicht unbedingt empfehlenswert - mir schmeckt weder das Shumensko, das Balkansko, das Diana noch das Kamenitza. Vor Nisovo überholen mich fünf Radrennfahrer, der Ort selbst ist ganz hübsch, liegt malerisch in einem tiefen felsigen Taleinschnitt, ebenso Katselovo das ich kurz vor der Dämmerung erreiche. Die Orte liegen hier weit auseinander, sind ganz ansehnlich, alles ziemlich einfach aber sauber, die Wirtschaften ordentlich geführt. Anscheinend liegt hier weniger Müll in der Landschaft herum als im südlichen Rumänien.
In Katselovo steht der alte Traktor Marke Eigenbau, die verrostete Drehmaschine, ein Eigenbau-LKW, etwas weiter nehme ich ein Bier, esse etwas - gegenüber ein grosser Landwirtschaftsbetrieb mit modernem Maschinenpark - italienische und englische schwere Landtechnik ohne Ende, daneben noch einige Relikte der Vergangenheit: ostdeutsche W-50, russische LKWs und ein Gaz-69. Ich marschiere straks auf das Gelände, kümmere mich nicht um die Rufe eines Mannes, mache erst Halt vor den alten russischen LKWs. Dem inzwischen hinzugeeilten Mann beruhige ich, mache ihm begreiflich dass mich die alte Technik interessiert - das versteht er, ich kann mich nun frei auf dem Gelände bewegen. Es ist der hiesige Wachmann, er zeigt mir seine Dienstpistole - eine mir unbekannte 9 mm, die darf ich sogar in die Hand nehmen. In seinem Wachraum läuft ein kleiner russischer Fernseher, als ich mich verabschiede legt er die Pistole auf den Tisch und verlässt mit mir die Lokalität. Wie einfach wäre es zurück zu gehen und die Knarre einfach mitzunehmen!
Etwas weiter im Ort die nächste Wirtschaft, nehme noch ein Bier, setze mich neben die Dorfschönheit und zu fünf Typen, leider finden wir auch hier keine gemeinsame Sprache. Es reicht dass man sich mitteilt dass wir alle viele Jahre russisch lernen mussten - eine Unterhaltung in dieser Sprache kommt allerdings nie zustande! Und dass in Bulgarien ein Kopfschütteln "ja" und ein Nicken "nein" bedeutet ist schwer zu praktizieren, so vermeide ich Kopfbewegungen und beschränke mich auf "da" und "njet".
Im Hintergrund schleppt ein Moped eine alte 250er Jawa vorbei. Auch in Bulgarien zeigen die Uhren alle eine Stunde später - habe eine Weile gebraucht bis ich drauf gekommen bin: die machen einfach den Schwachsinn der dauernden Zeitumstellungen nicht mit !!!
Tag: 63 km, gesamt: 3419 km
2010_07_29 - Donnerstag, Reisetag 109
Morgens als ich schon auf bin hält auf dem Acker neben dem Zelt ein weisser Wolga M24 - der alte Mercedes des Ostens. Nach kurzer Verständigung und der Erkenntnis dass ich hier nur die Nacht verbrachte fahren sie wieder ab.
Der nächste Ort: Gorsko Ablanovo, vor der Wirtschaft die alten Leute und der Mann mit den roten Augen, der kippt trotz der frühen Stunde schon Wodka in rauhen Mengen. Auch in Krepcha hat ein Mann total rote Augen - was das wohl für eine Krankheit sein mag?
Seit Katselovo geht es durch malerische Flusstäler, von hohen Bergen flankiert. Die Strasse voller Schlaglöcher, einige Bäume spenden Schatten. Ein Blick zurück auf Krepcha, später frage ich bei einem Reifenservice ob man meine Vibram-Sohlen nicht aufvulkanisieren kann - kriegen die nicht hin!
Bald sehe ich die erste Moschee - in den Bergen hier ist seit dem osmanischen Imperium eine grosse türkische Minderheit. In Gagovo steht als Denkmal der alte Lanz Bulldog unter einem Schutzdach (als ich das viel später, wieder in Deutschland, im Lanz-Bulldog-Forum mitteile löse ich hektische Betriebsamkeit aus die letztlich dazu führt das dieser extremst seltene Lanz Eil-Bulldog HR9 D2539 Gas mit Zweistoffanlage 2012 oder 2013 für 100.000 Euro von einem deutschen Händler gekauft wird: siehe Lanz-Bulldog - Forum).
Vor Popovo grosse, ordentliche Plantagen - im ersten Moment denke ich das ist Wein, doch beim Nähertreten sehe ich: das sind Himbeeren. Gleich kommen Leute angelaufen und interessieren sich für meine Neugier, ich muss nicht nur Himbeeren kosten, werde zum Kaffee eingeladen. Mit den Betreibern dieses grossen Betriebes sitze ich lange zusammen, die hübsche, noch sehr junge Tochter Denitsa spricht ein gutes Englisch und so klappt die Verständigung. Hier werden 20 ha bewirtschaftet und bis zu 280 Leute beschäftigt! Lange sitzen wir zusammen, zwischendurch werden die Tagelöhner ausbezahlt - ich bekomme noch drei Schalen Himbeeren mit - ein richtiger Vitaminschock!
Popovo ist eine recht ansehnliche Stadt die ich jedoch nur durchfahre, will noch einige Kilometer schaffen heute, in Svetlen will ich ein Bier nehmen - prompt werde ich schon wieder eingeladen - zu 2 Bier und einem kleinen Imbiss, der Betreiber des Lokals spricht Englisch, übersetzt mir den Text den ich in den Dörfern herumzeigen will: "Gibt es hier ein altes Motorrad oder Fahrzeug aus dem 2. Weltkrieg?"
Hinter Svetlen campiere ich die Nacht.
Nachtrag:
Nachdem ich über den hier abgebildeten Lanz Bulldog im entsprechenden Forum berichtete beginnen hektische Aktivitäten in deren Folge sich jemand mit dicker Brieftasche aufmacht und diesen extrem seltenen Typ für 100.000 Euro erwirbt! Mein Forums-Beitrag hier liest sich echt spannend:
Beitrag bei LanzBulldog.de
Natürlich bekam der "scout" wie meist üblich nicht eine Puseratze, noch nicht einmal ein "Dankeschön"...
Tag: 49 km, gesamt: 3468 km
2010_07_30 - Freitag, Reisetag 110
Aprilovo - hier nehme ich erst einmal zwei Joghurt und zwei Kaffee zu mir, die Dorfjugend läuft zusammen, zwei Jungs sprechen etwas Englisch, später sind auch zwei Jugendliche die Deutsch sprechen dabei - und ich kann mich hier per Kabel ans Internet stöpseln, endlich die Daten übertragen - so dachte ich zumindest, sitze zwei Stunden an dieser verfluchten Technik, nichts geht - nicht mal per Kabel! Zuletzt spiele ich die Daten sowie das Übertragungs-Programm auf einen usb-stick, von einem anderen Rechner klappt dann der Transfer endlich.
Zwei Jungs begleiten mich bis Konak auf ihren klapprigen mountain-bikes - die haben noch nicht einmal Bremsen, die Ketten quietschen erbärmlich nach Fett! Eine kleine Schildkröte hockt mitten auf der Strasse in ihren Panzer verkrochen, wird von mir über die Strasse getragen. In Konak sitze ich mit den alten Leuten zusammen, der Mann in der wohl Post-Uniform singt ein Ständchen: Tonaufnahme.
Vor Moravka wollen mir die Waldarbeiter ihren alten russischen GAZ-LKW - den sandfarbenen ehemaligen Militär-LKW - für 300 Eus verkaufen, ich lehne dankend ab! In Gorna Hibavka tönt der Muezzin via Lautsprecher-Anlage durchs Dorf: Tonaufnahme, als ich vor dem Laden etwas esse und ein Bier trinke schicken zwei pummlige "Dorfschönheiten" die sich abseits halten ein kleines Mädchen auf einem Fahrrad alle Augenblicke vorbei - sie stellt auf Englisch eine Frage - die Antwort berichtet sie dann treulich den beiden. Am Ortseingang von Omurtag sind mehrere alte Flugzeuge ausgestellt, hinter Omurtag baue ich dann das Zelt auf.
Tag: 46 km, gesamt: 3514 km
2010_07_31 - Samstag, Reisetag 111
Der Himmel ist komplett bedeckt, die Sonne nicht zu sehen, Temperatur knapp 24 Grad. Es gibt eine lange Abfahrt - fahre etwas über 72 km/h, in Zelena Morava an der Strasse ein Restaurant, hier kehre ich ein, nehme später auch das Mittagessen: Geflügelsuppe, Kebabtschichi und Schopska-Salat. Die nächste lange Abfahrt ist vor Ticha, auch hier wird der Müll einfach in den ursprünglich schönen, kleinen Gebirgsfluss entsorgt. Im Ort sehe ich eine alte russische Isch - das war ursprünglich auch eine Kopie der DKW NZ 350, die Russen haben ja entgegen aller Behauptung selbst nicht viel zustande gebracht (Masse statt Klasse), entweder u.a. mit deutscher Hilfe vor dem Krieg produziert, dann während des Krieges munter von den Amis - aus den Waffen- u. Technik-Lieferungen - kopiert, nach dem Krieg deutsche Technik mitsamt den Technikern nach Russland verschleppt und nachgebaut. Aber da stehen sie den Amis in nichts nach - auch die bauten nach dem Krieg mit deutschen Technikern deutsche Technik nach - so flogen sie dann u.a. zum Mond...
Es folgt nun wieder ein ewig kilometerlanger Anstieg, vor Kotel gibt es dann eine neue lange Abfahrt - hier erreiche ich eine neue Höchstgeschwindigkeit von 83,4 km/h - ich verlasse nun langsam das Gebirge. In Kotel ist Pilz-Saison, an jeder Ecke stehen die Aufkäufer, die Pilze werden gereinigt und sortiert. In einem Laden decke ich mich mit Lebensmitteln fürs Wochenende ein. Der nächste Ort: Gradets, dann Mokren wo ich noch zwei Feierabend-Bier trinke. Es gibt das übliche Radebrechen mit den fremdsprachenunkundigen Einheimischen, später kommt der Typ der wie ein amerikanischer Filmschauspieler aussieht - auf einer alten Jawa 250, Baujahr 1959. Er gibt allen die Hand - meine lässt er nicht mehr los, drückt und drückt - ich halte dagegen. Starr sieht er mir in die Augen, lange geht der kräftige Händedruck - als er beginnt nachzulassen fange ich meinerseits an zuzudrücken, er versucht nachzufassen, muss aber irgendwann aufgeben...
Hinterm Ortsausgang Mokren errichte ich heute mein Nachtlager.
Tag: 77 km, gesamt: 3591 km
2010_08_01 - Sonntag, Reisetag 112
Morgens nach dem Losfahren zeigt das Tachometer nichts mehr an - bin ich versehentlich an den grossen reset-Knopf auf der Rückseite gekommen? Also heisst es: neu programmieren, zum Glück habe ich die Anleitung noch dabei, nun wird wieder von Null gezählt und ich muss jedesmal addieren. Da ich unterwegs irgendwo ein Massband gefunden habe mache ich das diesmal nun ganz genau, baue das Rad aus und messe den Reifen-Umfang: 2060 mm.
Wie man sieht habe ich kurz vor einem US-Army Bau-Projekt geschlafen - was wollen die Amerikaner hier ???
Vor Zimnitsa am Kreisel - hier quert eine grosse Hauptstrasse - kehre ich zum Kaffee ein, die junge Bedienung unfreundlich und nachlässig. Vor Zimnitsa direkt an der Strasse mehrere Erdhügel die ich erst für Schutthaufen halte, doch machen mich die Betonwege dazwischen neugierig - die Hügel entpuppen sich als ehemalige Bunker. Am Ortseingang Zimnitsa ein kleiner Laden - hier setze ich mich zu zwei älteren Herren, nehme ein Bier - von dem was sie reden verstehe ich kein Wort. Wie üblich entwickelt der Roller wieder einmal sein Eigenleben und fällt nach einer Weile um. Der Typ neben mir haut mir dauernd auf die Schulter, das nervt mich, irgendwann erwidere ich das und schlage nun ihm auf die Schulter. Das haut nicht nur ihn sondern auch gleich noch seinen Nachbarn vom Hocker, wie die Domino-Steine purzeln sie von ihren Stühlen! Die Szene ist wahrlich filmreif - natürlich helfe ich den Herren wieder auf die Beine, ihre verduzten Gesichter hättet Ihr sehen sollen!
Wie so oft mörderische Schlaglöcher - wieder einmal fehlt ein Gullideckel! Am Hauptplatz das übliche Siegesdenkmal - von zwei Geschützen flankiert, dann der Obst- und Gemüsemarkt. Vor Veselinovo der Abzweig - die Umgehungsstrasse 7, der nächste Ort Mogila.
Da ich einmal wieder - und zwar die ganze letzte Strecke - so viele schwere, moderne Geländewagen auf den Strassen sah mache ich mir Gedanken, eine neue Erkenntnis drängt sich auf: die ganze Korruption ist doch wohl eher gewünscht, die ganzen Gelder die hier hinein gepumpt werden konzentrieren sich - und die nun neuen Reichen sind jetzt in der Lage die neuen Statussymbole zu kaufen - so fliesst das ganze Geld wieder schön zurück!
So oft wurde ich auf meiner Reise auf "Hitler" angesprochen - darauf erwidere ich jedesmal: "Hitler kaputt, Stalin kaputt, Tito kaputt, Ceaucesku kaputt!" - das führt jedesmal zu heftigem Händeschütteln und allgemeiner Verbrüderung!
Die folgenden Orte: Kozarevo und Okop. Die Strasse die reinste Katastrophe, ein einziges Wellenband, der Roller hopst von Delle zu Delle, unzählige tiefe Schlaglöcher - wie ergeht es bloss den motorisierten Fahrzeugen, die LKWs müssen teilweise Schritt-Tempo fahren! Wer diese Strasse verbrochen, öffentliche Gelder so verschwendet hat gehört ins Gefängnis!
An der Strasse mehrere grosse, prähistorische Hügelgrabanlagen, mindestens vier in Reihe - die Strasse geht mitten durch. Vor Kirilovo - wenige Kilometer vor Elhovo - campiere ich unweit der Strasse.
Tag: 64 km, gesamt: 3655 km
2010_08_02 - Montag, Reisetag 113
Habe gut geschlafen inmitten der vielen Zichorien, zu deutsch: Wegwarte. An der Umgehungsstrasse Elhovo ein Schrottplatz, leider gibt es nichts interessantes hier ausser einem riesigen Kompressor (6 Zylinder, angetrieben von einem 6-Zyl. Dieselmotor) und die typischen Russen-LKWs. Altreifen und Kunststoffe werden einfach verbrannt, als ich Fotos mache kommen natürlich die Typen aggressiv an - doch ich lache nur, will nix verstehn, sage abschliessend dass ich Tourist bin - und lasse die Männer einfach stehen.
Schaue kurz in Elhovo rein, habe hier einmal Gelegenheit einem der alten, russischen LKW unter die Haube zu sehen, rolle den Boulevard herunter, muss mich wie so oft mit Joghurt begnügen, Frischmilch gibt es schon lange nicht mehr. Später setze ich mich in ein Kaffee, der kostet 0,70 Lewa - umgerechnet ca. 35 Cent, auch hier wieder ist die Bedienung übellaunig und schleppend. Die türkische Grenze ist nur noch etwa 30 Kilometer entfernt.
Ab Elhovo ist die Strasse in gutem Zustand, der Weg bis zur Grenze zieht sich ewig hin, mehrere Bergketten mit langen Anstiegen gilt es noch zu überwinden, als Tageshöchsttemperatur messe ich 49,1 Grad Celsius. Irgendwann denke ich natürlich an ein kühles Bier - da ist hinter der nächsten Ecke ein kleiner Imbiss am Strassenrand. Kaum nähere ich mich werden ungefähr 77 Köter wach von denen sich ein Grossteil kläffend, geifernd mit gefletschten Zähnen auf mich stürzt, die meisten sind jedoch angebunden - zerren wie irre an ihren Ketten. Die beiden Typen die den Laden betreiben sehen auch nicht gerade vertrauenerweckend aus - so drehe ich gleich wieder ab, kümmere mich nicht um die Rufe hinter mir die mich zum Bleiben auffordern.
Irgendwann ist die Grenze erreicht, etwa hundert LKWs stehen Schlange, in ihrem Schatten rolle ich munter an ihnen vorbei. Vor dem Grenzübertritt kaufe ich für mein letztes bulgarisches Geld Lebensmittel, tausche auch 50 Eus in türkische Währung. Die bulgarischen Grenzer winken mich durch als sie den deutschen Reisepass sehen, auf der türkischen Seite rolle ich so weit bis ich auf einen Beamten treffe, werde gefragt ob ich Kokain dabei habe, als ich das verneine winkt man mich durch. An der letzten Kontrollstelle fehlt dann doch der Stempel und ich muss nun wieder zurück, bekomme den Einreisestempel, dann schenkt mir der Zöllner der mich nach Kokain fragte etwas Mineralwasser, ich zeige ihm meine homepage.
Gegen 16.oo bin ich dann in der Türkei, an der nächsten Tankstelle nehme ich das erste türkische Bier namens "Marmara", doll ist es nicht. Im Bergland geht es nun meist bergab, über jedem Dorf steht ein Minarett, vor Kücükdöllük baue ich zwischen Sonnenblumenfeldern mein Zelt.
Tag: 64 km, gesamt: 3719 km
2010_08_03 - Dienstag, Reisetag 114
In Kücükdöllük schaue ich kurz rein, nehme in einem Laden erst 2 x 5oo Gramm Joghurt, danach ein paar Meter weiter in einer Wirtschaft zwei Tee. Obwohl die Strasse seit der Grenze in bestem Zustand ist (der Standstreifen meist zwischen 2 und 5 Meter breit), bergauf immer zwei Spuren hat ist hinter dem Ort doch ein LKW umgekippt, Motoröl läuft aus.
Bald bin ich in Edirne, am nördlichen Stadtrand moderne Neubauviertel, die Stadt selbst voller quirligem Leben, sehr viele Menschen auf den Strassen, Märkte, Basare, Moscheen - vor deren Besuch wäscht man sich die Füsse. Bier in der Öffentlichkeit - das heisst sichtbar trinken ist verpönt, ein Schuhputzer geht mit seiner Kiste herum, etwas Militär fährt in Unimogs und mir unbekannten Jeeps durch die Gegend. Es gibt noch einige wenige der alten Holzhäuser - die müssen einmal sehr schön gewesen sein, bestand die ganze Stadt aus diesen Häusern.
Mehrere Stunden bin ich in Edirne, am Nachmittag verlasse ich die Stadt. Es geht nun wieder von einer Hügelkette zur nächsten, starker Gegenwind - meist heisst es nun schieben! Die Fernstrasse D-100 wird gerade zur Autobahn ausgebaut - keine Ahnung was das soll, gibt es doch eine Autobahn nahezu parallel wenige Kilometer nördlich. Bei einer fast aufgegebenen Tankstelle halte ich eine Stunde Siesta, wasche mich und etwas Wäsche. Fahre noch bis Necatiye, kurz vor Küleli mein Nachtlager.
Tag: 66 km, gesamt: 3785 km
2010_08_04 - Mittwoch, Reisetag 115
In Küleli kaufe ich in einer Bäckerei Brot frisch aus dem Ofen, nehme zwei Kaffee - der ganze kleine Ort scheint fast nur aus Tee- und Kaffeestuben zu bestehen, zumindest direkt an der Strasse. Ein Pflug wird hergestellt, es gibt einige kleine Läden. Auch heute weht wieder ein starker Gegenwind, wieder geht es von Berg zu Berg, hinter Babaeski steht in einem Energie-Betrieb ein Jeep auf Ketten, bevor ich auf dem Gelände bin winkt der Wachmann mich schon herein, gibt mir etwas Wasser, bald ist die halbe Belegschaft versammelt - einer spricht Englisch und so kann ich alle Fragen beantworten. Vom Wachmann will ich die Dienstwaffe besehen, erst als ich meine er kann ja das Magazin entfernen - die Waffe wird nun vorschriftsmässig entladen - gibt er sie mir in die Hand: eine türkische Fatih-13, Kaliber 7,65 mm. Wir sitzen eine ganze Weile zusammen, obwohl fotografieren verboten ist kann ich doch vom Kettenfahrzeug einige Aufnahmen machen.
Am Ortseingang von Lüleburgaz entdecke ich bei Burger King endlich einmal ein offenes w-lan, verbringe hier die heissen Stunden - trinke 3 Liter Ayran! Habe längst herausgefunden dass es gar nichts bringt in der grossen Mittagshitze Kilometer zu machen - so ist man bald völlig KO, und in den kühlen Abendstunden total müde. Besser eine lange Siesta und am späten Nachmittag Leistung bringen!
Yenibedir, mein Zelt baue ich vier Kilometer vor Karistiran neben einem Sonnenblumenfeld.
Hatte ich gar nicht geschrieben - Anfang Juli hat mir die Postbank auf mein Konto knapp 55ooo Eus überwiesen und ich war unbemerkt zehn Tage ein reicher Mann - bis sie es wieder zurück buchten! Nun kann mir niemand erzählen dass sowas ein Versehen ist - zu oft hört man von solchen Fällen - die Banken schieben die Gelder hin und her und berechnen sich die Zinsen, fälschen so ihre Bilanzen. Das mag bei 55ooo Eus mal 10 Tage nicht viel sein - aber hundert- oder tausendfach kommt da ganz schön was zusammen. Alles Verbrecher !!!
Tageskilometer: 58, gesamt: 3843 km
2010_08_05 - Donnerstag, Reisetag 116
Früh regnet es ein wenig, ein Bauer mit seinem Traktor kommt aufs Feld gefahren, bleibt jedoch nicht lange. In Karistiran nehme ich ein zweites Frühstück, wie üblich 500 Gramm dicken Joghurt, zwei Tee, kaufe richtig gute Lammwurst zum Weissbrot. Auch heute weht ein starker Gegenwind, mühsam geht es mit maximal doppelter Schrittgeschwindigkeit gegen an.
An einer Tankstelle halte ich Siesta, durchfahre dann Vakiflar und Ulas - ein Industrie-Standort, hier sind mehrere Chemie- und Textilfabriken. Vor Marmaracik ist an der Strasse ein factory-outlet - hier kaufe ich eine Hose als Ersatz für meine zerrissene, durchgeschwitzte alte.
Mir ist aufgefallen dass es kaum Motorräder von MZ zu sehen gibt - nach der Wende wurden doch die Produktionsanlagen in die Türkei verkauft. Wo sind die alle bloss geblieben? Nur ein russisches Isch-Gespann sehe ich, herunter steigt ein Mann der nach seinen Krücken greift und davon hinkt.
Dann habe ich einen Platten vorn - den zweiten auf dieser Tour! Die Luft entweicht nur langsam, schiebe also zur nächsten Tankstelle die hier beinahe in Sichtweite voneinander stehen. Doch diese Tankstelle in Corlu ist noch im Bau, zum Glück gibt es davor einen Pirelli-Reifen-Service. Als ich die Sache näher besehe stellt sich heraus dass die Anti-Platt-Einlagen anscheinend nur unter der Lauffläche sind - aber auch nur dort! Geflickt ist der Schlauch schnell, nun suche ich nach einer Bank zum Geld tauschen - die 50 Eus die ich an der Grenze tauschte sind schon alle - die Türkei ist ein teures Pflaster im Gegensatz zu den Ländern bisher. Die einzige Bank hat schon geschlossen.
Ein Muezzin ruft rum Gebet: Tonaufnahme
Unweit der Hauptstrasse die alte steinerne Brücke - sowas sieht man gelegentlich noch, der Fluss der sich dem Meer entgegen quält ist eine schwarze, undurchsichtige Brühe - und fliesst an einem riesigen, modernen Klärwerk vorbei.
In Corlu verpasse ich die Hauptstrasse und lande in irgendwelchen Vororten - vor einem Militär-Objekt steht der Panzer, als ich Fotos mache kommen natürlich gleich Wachsoldaten heraus die mir das fotografieren verbieten wollen - ich entgegne: die Hauptstrasse geht hier lang, jeder kann das Ding sehen - warum soll ich keine Fotos machen?
Ein Stück weiter auf einem Berg die Reste einer alten Festung, dann die Armenviertel der Stadt, später noch eine neue Satelliten-Stadt. Seit Corlu ist die "Autobahn" komplett fertig, der Verkehr braust ungehemmt dahin. Vor Degirmenköy campiere ich.
Tageskilometer: 57, gesamt: 3900 km
2010_08_06 - Freitag, Reisetag 117
Degirmenköy, Cantaköy. Diese kleinen flinken Busse übernehmen den grössten Teil des öffentlichen Nahverkehrs, halten auf Zuruf bzw. hupen Leute die am Strassenrand stehen an ob die mit wollen. Das Marmara-Meer liegt bereits zu meiner Rechten. Ab Silivri - hier verlasse ich die D-100 - nehme ich die kleinen Nebenstrassen, finde auch eine Möglichkeit Geld zu tauschen. Banken sind ungünstig - man tauscht Geld besser in Wechselstuben, die nennen sich: Döviz.
Die Orte die ich bisher gesehen habe waren mehr oder weniger austauschbar, von der Architektur her total langweilig, überall die gleichen phantasielosen alten oder neuen Neubauten. Kaum eine Stadt besitzt noch eine Altstadt! Müll und Gestank, verwilderte Hunde überall. Doch die Menschen meist freundlich und aufgeschlossen.
Silivri gehört schon zum Grossraum Istanbul, ein Vorort reiht sich an den nächsten - meistens abgesperrte und bewachte Wohnparks. Als ich einen durchfahre bin ich schon am Marmara-Meer in das ich mich gleich werfe - das Wasser ist einigermassen sauber doch total lauwarm und flach, ich erspare mir die Mühe weit raus zu laufen und lege mich ins knietiefe Wasser. Auch der Strand mit vielen Verbotsschildern ist in abgesperrte Areale aufgeteilt. Eine Zeit lang unterhalte ich mich mit einem jungen Schweizer, kann ihm zeigen wie man die Duschen in Betrieb setzt - die sind nicht für jedermann. Der Strandweg ist leider nicht durchgehend, so muss ich zur Strasse zurück.
Ein kleiner Laden - ich kaufe einen Liter Marmara-Beer. Dazu kommt ein Typ der meint er wäre professioneller Fotograf, ist offensichtlich etwas verwirrt. Wir unterhalten uns eine Weile, der Junge der mit auf dem Bild ist fährt zwischendurch mit seinem Fahrrad Waren aus.
Bald beginnt die Strandmeile - hier sitzen die Familien und grillen heftig - das kennt man schon aus den Berliner Parks. Ein paar Jugendliche spielen Basketball.
Selimpasa, Celaliye, Kamiloba - irgendwo neben der Strasse D-100 baue ich mein Nachtlager.
Tageskilometer: 50, gesamt: 3950 km
2010_08_07 - Samstag, Reisetag 118
Kumburgaz, Mimarsinan, Büyücekmece. Istanbul ist ein Moloch, eine riesengrosse, wild wachsende Stadt mit wahnsinnig viel Verkehr - allein die D-100 hat bis zu 10 Spuren, selbst kleinere Hauptstrassen selten weniger als 6 Spuren, andauerndes nervendes Gehupe. Am schlimmsten fahren die gelben Taxis - das ist wohl in allen Städten so - die glauben ihnen gehört die Strasse, Regeln gelten für sie nicht. Die Stadt ist voller Lärm, Dreck und Gestank - zum Glück weht vom Meere her ein Lüftchen was das Atmen erträglich macht. Die Strassen jenseits der grossen Hauptstrassen oft in miserablem Zustand. Das Leitungswasser stinkt und schmeckt ekelig - wer es sich leisten kann kauft Mineralwasser, unangenehm schon die Vorstellung sich oder die Wäsche damit zu waschen. Viele verwilderte Hunde, und irre viele streunende Katzen die in den Mülltonnen herumwühlen. Die Menschen erlebe ich als sehr rücksichtslos, es wird gedrängelt und geschubbst, ich bin bald ziemlich angenervt - einzige Möglichkeit: sich ebenso verhalten.
Wie so oft versucht ein Muezzin gegen den Verkehrslärm anzusingen: Tonaufnahme
Der Bus für den Transport von Körperbehinderten steht vor einem von Militär bewachten Gebäude - werden hier ehemalige Soldaten betreut die zum Beispiel bei den Kriegen gegen die Kurden im eigenen Land zu Schaden kamen? Oder von einem der Auslands-Einsätze der türkischen Armee:
- Unterstützung der UNO-Mission in Somalia - 1993–1994
- SFOR NATO-Einsatz in Bosnien-Herzegowina - seit 1995
- KFOR NATO-Einsatz im Kosovo - 1999
- Irak: Ende der 1990er und Anfang des 21. Jahrhunderts immer wieder Operationen auf irakischem Boden gegen die PKK. Seit 2005 sind einige tausend türkische Soldaten in Nord-Irak stationiert, sie sollen Übergriffe von PKK-Kämpfern in die Türkei verhindern.
- ISAF NATO-Einsatz in Afghanistan - seit 2001: von Juni 2002 bis Februar 2003 stand der Einsatz unter türkischer Leitung, derzeit sind 1795 türkische Soldaten im Einsatz. Von Februar bis August 2005 stand das Kommando erneut für sechs Monate unter türkischer Führung.
Direkt an der Hauptstrasse ein alter Bunker. Mittags bade ich noch einmal, hier ist das Meer bereits nach einigen Metern tief und herrlich kühl, etwas weiter trocknet ein Kormoran sein Gefieder.
Kurz nach 16.oo stehe ich vor der alten Stadtmauer von Konstantinopel / Byzanz - immer noch sehr eindrucksvoll in ihren Dimensionen, selbst als Ruinen. Nur leider alles vermüllt und verschissen, nach einer kleinen Besichtigung fahre ich weiter, auch lassen die vielen Typen die hier "wie zufällig" herumschlendern darauf schliessen dass auch hier wieder ein Schwulen-Treff ist. Direkt davor einige der vielen Strassenunterführungen - man sieht die Schächte und Ventilatoren der Belüftung.
Etwas weiter eines der Stadttore. Als ich es von innen fotografiere werde ich von oben herab mit Steinen beschmissen! In der Altstadt wie zu erwarten nur noch wenig alte Bausubstanz - die Türken sind so stolz auf ihre ruhmreiche Geschichte - und reissen auch alles weg!
Von all dem Trubel hier, von Hektik, Lärm und Dreck habe ich längst den Kanal voll, will eigentlich nur noch weg hier, bedaure dass ich mir die Mühe gemacht habe Istanbul sehen zu wollen, hätte doch die Fähre nach Galipoli nehmen sollen, wäre lange in Klein Asien. Den Palast des Sultans, die blaue Moschee und die Hagia Sophia sehe ich mir lieber online an!
Die offensichtlich verwirrte, halb nackte Frau liegt auf einer Kellertreppe.
Nachdem der Entschluss gefasst die Stadt zu verlassen versuche ich die südliche Brücke die über den Bosporus führt zu erreichen. Dummerweise führt sie in etwa 50 Meter Höhe über die Meerenge - ich stehe genau darunter. Wie hinauf gelangen? Mühevoll schiebe ich mehrere extrem steile Berge hinauf, irre bei dem Versuch eine Zufahrt zu finden den Rest des Nachmittags und dann den Abend durch die Gegend, bald ist es dunkel und nichts mehr zu sehen, so bleibt mir nur übrig mein Zelt irgendwo aufzuschlagen - auf einem Grünstreifen zwischen mehreren Auf- und Abfahrten irgendeiner der vielen Stadtautobahnen! Es ist nicht nur heftig laut vom Verkehr - alle paar Minuten kommt noch so ein Idiot vorbeigefahren der sich mittels Bass-Anlage sein bischen Hirn durchwummert, alle Mitmenschen nervt. Sehe diese Typen direkt vor mir - sind doch europaweit die gleichen Deppen, hören den gleichen Mist...
Tageskilometer: 64, gesamt: 4014 km
2010_08_08 - Sonntag, Reisetag 119
Nach dieser lauten Nacht bin ich recht früh auf, warte lange bis das Zelt getrocknet, finde dann bei Licht sofort die Brücken-Zufahrt (die Leitplanken überall verhindern oft alleine das Wechseln oder Überqueren von Spuren), rolle auf die Brücke zu die nun plötzlich Autobahn-Status - und dabei bloss 6 Spuren hat. Schilder verbieten u.a. auch das Fahrradfahren. Kaum bin ich auf der Brücke, will auf den schmalen Streifen neben der Fahrbahn springt aus seinem Häuschen ein Polizist, will meinen Ausweis sehen. Den Weg darf ich nicht benutzen - das wäre Transit-Bereich! Also wieder auf die Fahrbahn, bis zur Brücken-Mitte geht es bergauf und ich schiebe, danach rolle ich bergab - und bin nun so plötzlich kurz vor 8.oo Uhr in Asien! Das Schild welches darauf hinweist will ich fotografieren - doch aus einem Polizeiwagen auf der anderen Seite kommt die Weisung weiter zu fahren.
Bei der Polizei-Station hinter der Brücke stehen viele wohl ausgemusterte Polizei-Motorräder, das Wachhaus ist nicht besetzt und so mache ich auf dem Gelände die Fotos ungestört, als ich fertig bin kommt doch noch jemand aus der Station, nimmt jedoch keine Notiz von mir.
Die Maut-Station etwas weiter umschiebe ich, will von der Autobahn herunter und nehme die extra Busspur, es geht durch einen Tunnel, vor dem nächsten ist eine schmale Lücke in der Leitplanke durch die ich mit dem Roller gerade passe, nun schiebe ich einige hundert Meter links der Autobahn, erspare mir so die Durchquerung eines tiefen Tales. Bald unterquere ich die Autobahn wieder, wende mich Richtung Meer, hoffe eine weniger stark befahrene Strasse zu finden.
Längst völlig nassgeschwitzt bin ich dann am Meer, bei einem Parkplatz denke ich kurz hinein zu springen, nichts spricht dagegen scheint es. Den Roller angelehnt entledige ich mich meiner Kleidung und gehe die paar Schritte zum Wasser, bin gerade mit den Füssen drin höre ich schon jemanden herumschreien. Wie üblich ignoriere ich das, tauche kurz unter, drehe mich um - am Strand steht ein uniformiertes Männchen - wohl irgendein Hilfspolizist oder Wachmann mit grosser Pistole und Handschellen am Koppel - das wild schreiend gestikuliert, mich heraus zu winken versucht - keine Ahnung für wen der hier den Knecht spielt. Als das nichts nützt vergreift der Typ sich an meinen Sachen, schiebt den Roller weg - da sind meine ganzen Sachen dabei. Die Aussicht in Badehose und Schuhen meine Reise fortsetzen zu müssen ist nun wirklich ein Grund das kühle Nass zu verlassen, dem Typen hinterher zu rufen. Ich mache nun eine laute Szene - genug Publikum gibt es unter anderem von einer nahen Restaurant-Terrasse, belege den lautstark mit unflätigsten Schimpfworten von denen er leider kein einziges versteht. Meinen Roller hat der längst irgendwo an die Seite gestellt. Da gönnt so ein kleiner Wichtigtuer einem nicht mal ein kurzes Bad! Ich ziehe mich wieder an, rolle an seinem Blechkasten vorbei auf den Typen zu - am liebsten würde ich dem in die Fresse schlagen - statt dessen rotze ich ihm gezielt voll ins Gesicht! Das bringt den natürlich in Rage - er geht auf mich los, ich wehre ihn mit dem rechten Arm ab, halte den Roller mit der linken Hand - mit seinen kurzen Ärmchen richten seine Speck-Fäustchen nichts aus, das sieht er bald ein, wetzt plötzlich ganz fix in seine Wach-Blech-Box und kommt mit seinem Dienst-Knüppel (sicher 70-80 cm lang) zurück mit dem er nun auf mich eindrischt. Den Roller lasse ich jetzt fallen, habe so beide Hände frei - bevor ich dem Spinner den Knüppel aus der Hand winden kann verzieht dieser Feigling sich in seine Hunde-Hütte, bevor meine elend langsame Kamera ein Foto macht hat der sich immer umgedreht, versteckt die Keule hinter sich. Inzwischen ist noch ein anderer Typ dazu gekommen - ohne Uniform, ich versichere ihnen dass ich über dieses Erlebnis hier unbedingt berichten werde. Ausser einem verstauchten Finger und dem Hämatom am Unterarm habe ich die Angelegenheit glimpflich überstanden - das war es mir wert! Die GPS-Koordinaten: N40 58 8, E29 2 15.
In der Türkei sind unheimlich viele Leute bei Wach- und Schliessgesellschaften angestellt - vor jedem Betrieb, vor jeder Firma, vor jedem Wohnblock, in jedem Supermarkt - überall sitzen oder stehen diese bewaffneten Uniformierten und schlagen die Zeit tot. Und das sind nur die sichtbaren Sicherheitsleute - wie viele mögen erst im Geheimdienst tätig sein? Vergleiche zu realsozialistischen Diktaturen drängen sich mir auf, die Türkei scheint ein richtiger Polizei-Staat zu sein!
Nachdem ich diese unschöne Szene verlassen habe sehe ich an der Strasse einen blonden Typen mit Rucksack und nordic-walking-Stöcken - das kann doch bloss ein Deutscher sein? Ich spreche ihn an - der Innsbrucker Martin läuft nach Jerusalem! Die Stöcker hat er sich gerade zugelegt wegen einer Zerrung oder so, jedenfalls setzen wir uns in eine Teestube und unterhalten uns lange: Tonaufnahme. Seine Schuhe hat er schon sechs Mal besohlen lassen, es hat jedesmal viel Zeit gekostet jemanden zu finden der sein Handwerk versteht, dazu noch passende Sohlen auftreiben kann! Wegen seiner Verletzung hat er eine Zeit lang in der Stadt pausiert, heute sein erster Tag wieder unterwegs. Während ich in Istanbul kein einziges, angenehmes Erlebnis hatte ist er voll Lobes über diese Stadt - so unterschiedlich kann es einem ergehen! Ich schenke ihm den Reiseführer Israel den ich 4ooo km sinnlos mit mir herumschleppte - der Wälzer wiegt knapp ein Kilogramm, rate ihm die gelesenen Seiten heraus zu reissen - so wird das Buch immer leichter!
Bald ist die Stunde des Abschieds gekommen, wir gehen noch ein paar Schritte zusammen, wünschen uns gegenseitig alles Gute - dann schwinge ich mich auf den Roller, fahre direkt am Strand entlang - hier gibt es sogar einige Kilometer einen roten Radweg, die kleine Hauptstrasse hat nur bis zu 8 Spuren. Überflüssig zu erwähnen dass viele Leute nicht auf dem breiten Fussgängerweg laufen sondern mit einer Arsch-Ruhe auf dem Radweg lustwandeln oder herumstehen. An einem Wagen prangt das Siegel des Sultans - kenne ich noch aus den ostdeutschen Digedag-Comics.
Die Borsteinkanten in der Türkei und besonders in Istanbul sind furchtbar hoch wie man sieht. Nach einigen Kilometern mache ich in einer Teestube Rast, habe schon einen Grossteil meines Tages-Pensums geschafft heute. Hier spielen die Leute ein mir unbekanntes Brettspiel, sehen Pferderennen - und nehmen lautstark Anteil am Geschehen: Tonaufnahme.
Ein grosses Hafen- und Militärgebiet ist zu umfahren - dann bin ich in Gebze, einem neuen Stadt-Grossraum angekommen, langsam wird es dunkel und weit und breit keine Möglichkeit eines Schlafplatzes. An einem Markt wo gerade ein- und aufgeräumt wird - die Gegend gleicht einem Schlachtfeld, die Strassen übersäht mit Müll, Bergen von faulendem Obst und Gemüse - kaufe ich noch etwas zu Essen, bin schon völlig KO, beschliesse hier mich mit der Fähre übersetzen zu lassen. Zum Fährhafen geht es bergab, finde mich schnell zurecht, es herrscht immer noch ein reger Betrieb, die Fähren fahren selbst nachts recht oft. Die Überfahrt samt Roller kostet umgerechnet 1,50 Eus - spottbillig also, wie ich hinterher erfuhr sind die Fähren über den Bosporus ebenso günstig - hätte ich mir das ganze zeitraubende und schweisstreibende Gequäle mit der Brücke sparen können!
Im Bug der Fähre stehe ich, schaue auf das Lichterband der gegenüber liegenden Küste, dann mache ich einen Rundgang: Tonaufnahme Maschinenraum. Das Schiff ist solide gebaut, schwankt nur minimal auf dem Wasser, viele entgegenkommende Fähren ziehen rechts an uns vorbei. Die Menschen sind aus ihren Fahrzeugen gekommen, stehen ruhig an der Reling, schauen ins Wasser oder in die Ferne, viele in Gedanken versunken. Was wird es am jenseitigen Küstenstreifen neues geben? Wie viele werden erwartet, wer kehrt von einer Reise zurück? Mein Nachbar - ein junger Türke mit Motorrad - telefoniert die ganze Fahrt mit seiner Freundin.
So oft habe ich auf meinem Wege Rückschau gehalten - oft nachdem ich einen langen Berg mühsam erschoben habe, voll Staunen über die Schönheit der Landschaft, die scheinbar unendliche Weite - kaum zu fassen dass dies nun alles bezwungen hinter mir liegt. Immer ist es eine Art Abschied, stimmt der Blick zurück wehmütig - werde ich im Leben noch einmal hierher zurück kehren? Eher unwahrscheinlich...
Vor dem anderen Ufer startet man die Fahrzeuge lange bevor das Schiff angelegt hat, mir ist diese sinnlose Hast und Getriebenheit der Menschen hier fremd, während ich noch ein Foto mache hupt es hinter mir schon mehrfach ungeduldig. Den Roller schiebe ich die Rampe hinunter an Land - hier warten schon viele Menschen, eine lange Schlange Fahrzeuge steht - alle wollen an das andere Ufer das ich gerade verlassen.
Auch hier ist erst einmal nichts als eine Schnellstrasse, lange suche ich bis ich einen Platz für mein Zelt finde - es ist bald Mitternacht. Zwischen stark duftenden Pflanzen - hier steht Campfer - baue ich dann mein Lager, wieder einmal recht dicht an der lauten Strasse, etwa in Höhe Altinkum, vor Yalova.
Tageskilometer: 69, gesamt: 4083 km
2010_08_09 - Montag, Reisetag 120
Morgens fahre ich von der Hauptstrasse ab zu dem kleinen Ort Altinkum, dachte hier eher an eine antike Stätte, zumal mir auch so eine Touristen-Bimmelbahn entgegen kommt. Doch hier ist nur ein kleiner Badestrand - ich schwimme ein wenig, setze mich hinterher in die kleine Strandbar, trinke den üblichen schwarzen Tee. Es gibt hier einen Sportflugplatz, die kleinen Flieger ziehen an der Küste des Marmara-Meeres entlang.
Während die Nokia-Karten im Telefon für Istanbul und Edirne sehr genau und hilfreich waren ist der Rest des Landes meist wieder voller weisser Flecken auf der Landkarte, die mickrige ADAC-Karte deutlich detaillierter.
Nächster Ort: Ciftlikköy, dann Yalova - in irgendeinem dieser Orte mache ich die Tonaufnahme einer Durchsage aus den allgegenwärtigen Lautsprechern. Es geht wieder einmal in die Berge hinauf - bei der folgenden Abfahrt erreiche ich knapp 77 km/h auf der neuen, übersichtlichen Strasse. Dann die grosse Stadt ich glaube Hormangazi mit dem Denkmal zur glorreichen türkischen Geschichte. In Gemlik werde ich einmal wieder an die türkische Unart erinnert - irgend Jemand piekt einem plötzlich mit spitzem Finger in Schulter oder Rücken, so lange bis man sich zu ihm umwendet. Überhaupt empfinde ich die Menschen hier oft als distancelos, haben wenig Taktgefühl, merken nie wenn man mal seine Ruhe haben will, stören jede Andacht. Es ist schon so nicht einfach einmal vom Geschehen Abstand zu nehmen, sich zu besinnen, die innere Ruhe wieder zu finden - das habe ich oft nötig bei all dem Geschrei, dem dauernden Lärm und den vielen Menschenmassen.
In Gemlik halte ich kurz, kaufe zum Tagesausklang einen Liter Marmara-Bier - das trinkt man indem eine Plastik-Tüte die Flasche verhüllt um die religiösen Gefühle strenger Muslime nicht zu verletzen.
Diese abgefetzten Laufflächen von LKW-Reifen liegen alle paar hundert Meter am Strassenrand - stammen von runderneuerten Reifen und halten nicht lange, Leute sind damit schon schwer verunfallt!
Etwas weiter - hinter Engürücük schiebe ich den Roller in einen grossen Olivenhain, habe hier so etwas abseits der Strasse ein ungestörtes Nachtlager.
Tageskilometer: 69, gesamt: 4146 km
2010_08_10 - Dienstag, Reisetag 120
Endlich einmal wieder recht ruhig geschlafen abseits der Strasse. Bin trotzdem wie meist gegen 7.oo Uhr munter, und wie immer etwa halb Neun auf der Piste. Habe meine zerrissene Hose wieder herausgesucht und fahre lieber damit, bekomme in den Taschen das wichtigste unter - die blöde Lewis die ich vor Tagen kaufte hat Taschen die den Namen nicht verdienen.
Auch habe ich mir einmal den Spass gemacht die gefahrenen Gesamt-Kilometer durch die Fahrtage (etwa 90) zu dividieren - demnach bin ich durchschnittlich ca. 46 km je Tag gefahren.
Den Abzweig nach Mudanya habe ich gestern abend leider verpasst, so geht es statt ans Meer wieder einmal ins Bergland. Meist bin ich schon früh beim Start nass geschwitzt - so auch heute, zumal es kilometerweit bergauf geht. Hinter Kurtul habe ich mal wieder einen Platten vorn - den Dritten auf der Tour, erneut ein kleiner Dorn etwas seitlich der Lauffläche. Den eingebauten Pannenschutz kann man vergessen! Weit und breit kein Schatten zu sehen, so muss ich den Schlauch im Strassengraben wechseln, wie mühsam es ist bei dem ganzen Gepäck das Vorderrad aus- und einzubauen kann man sich sicher vorstellen!
Die Gegend hier wird vorwiegend zum Anbau von Oliven genutzt - überall stehen die Haine, die meisten Berghänge sind so bewirtschaftet.
An der höchsten Stelle der Berge sind einige Obst-Verkaufsstellen und ich kaufe etwas ein, erstaunlicher Weise gibt es auch Internet-Zugang der funktioniert! Einige Stunden sitze ich hier im einzigen schattigen Plätzchen weit und breit, kann endlich die aufgelaufenen Fotos der letzten Tage bearbeiten und einstellen, auch versuche ich meine Auslands-Krankenversicherung zu verlängern.
Weiter geht es am späten Nachmittag, nun lange bergab. Vor Bursa nehme ich eine kleine Landstrasse nach Westen, will auf diesem Wege nach Mudanya. Vorbei an Obstplantagen geht es bis Nihifer - da ist vorn schon wieder der Reifen platt! Mit der letzten Luft schiebe ich bis zur nächsten Hauptstrasse - die soll mich eigentlich nach Mudanya führen - doch es vergeht mir sofort als ich sehe dass auch hier wieder die Strecke als 4-spurige Autobahn ausgebaut ist! Ich stehe eine Weile, schaue mir diesen Wahnsinn an, es scheint selbst unmöglich die Strasse zu überqueren so heftig ist der Verkehr. Da es mir langsam reicht mit diesem Land - komme einfach bei dem ganzen Lärm und Dreck, bei den Leuten hier einfach zu keiner guten Laune, weiss nicht wer die Mähr von den herzlichen Türken aufgebracht - ich kann das nicht bestätigen. Habe einfach zu selten gute Gefühle zwischen den Menschen hier, diese rücksichtslose fast Aggressivität, diese Distancelosigkeit, das ganze sinnlose Geschrei und Gezeter um Nichts geht mir sehr auf die Nerven, habe einfach keine Lust mehr.
Da ich an der Hauptstrasse auch einen Burger King sehe - bei der nahen Tankstelle flicke ich den anderen Schlauch, fülle vorn Luft nach - werde ich morgen versuchen mir ein paar anständige Karten runter zu laden - will nicht mehr auf diesen Hauptstrassen Nerven und Gesundheit riskieren, zumal die meisten auch hier wie die Henker fahren. Dann versuche ich nochmal auf kleinen Strassen, in kleinen Ortschaften meinen inneren Frieden wieder und angenehme Menschen zu finden - ansonsten kehre ich diesem Land auf schnellstem Wege den Rücken...
Lange dauert es bis ich den Ort hinter mir lasse, die Dämmerung ist vorbei und die schwierige Suche nach einem Lagerplatz muss nun im dunkeln passieren. Auf einem überwucherten Acker zwischen einigen Einfamilienhäusern am Stadtrand stelle ich das Zelt auf, sogar ein paar verwilderte Rebstöcke stehen hier, die Trauben jedoch nicht zu geniessen.
Tageskilometer: 32, gesamt: 4178 km
2010_08_11 - Mittwoch, Reisetag 121
Die ganze Nacht haben alle Tölen der Gegend gekläfft, ganz schlimm wurde es als lange vor Morgengrauen ein Muezzin durch seine Lautsprecheranlage quäkte - da fingen die nun an mit zu heulen!
Nachdem ich zusammen gepackt wechsle ich im Schatten eines Baumes den Schlauch - der vierte Platten auf der Tour, nachdem ich sorgsam den Reifen kontrolliere entdecke ich wieder einmal einen kleinen Dorn neben der Lauffläche! Eine Shell-Tankstelle ist in Sichtweite, dort flicke ich dann auch den Schlauch, finde das Loch nur mittels der klassischen Methode im Wasserbad.
Nun geht es zurück zu dem Burger-King den ich gestern Abend noch sah - von wegen, das ist nichts weiter als eine riesige, turmhohe, leuchtende Reklame, weit und breit kein Laden zu sehen!
Nun wende ich mich gleich ins Inland, erspare mir den Weg zur Küste und damit auch den Abstecher nach Troja, mit meinen miesen Karten irgendwo in der Pampa am Ende einer Strasse zu stehen hatte ich schon mehrfach. Von vielen Türkei-Reisenden hatte ich im Vorfeld schon erfahren dass es schwierig ist vorab gutes Kartenmaterial zu bekommen - hier ist wohl immer noch alles geheim - und das obwohl man per Satelit bald jedes Staubkorn sehen kann!
Im Grossraum Bursa lande ich nun wieder - überall diese hässlichen, in die Landschaft geklotzten Neubauviertel, es geht durch staubige Vororte, an einem vom Militär bewachten Lager komme ich vorbei - hohe Mauern, Stacheldraht, alle paar Meter Wachtürme mit Sandsäcken, nach innen gerichtete starke Scheinwerfer.
An einer der Ausfallstrassen gibt es ein Restaurant mit wireless-Internet. Wie ich hier sehe sind auch die google-Karten zum Reisen durch die Türkei unbrauchbar.
Auf Nebenstrassen versuche ich nun noch einmal mein Glück, auch wenn ich nicht weiss wo ich letztlich landen werde ohne Kartenmaterial. Immerhin sehe ich doch noch etwas historische Bausubstanz, mit Lehmziegeln gemauert - leider auch hier dem Verfall preis gegeben. Südlich der D.200 quäle ich mich jetzt auf der sehr schlechten Strasse über die Dörfer Kayapa und Hasanaga, der Verkehr ist auch hier sehr heftig, wird gefahren und gerast ohne Rücksicht auf Verluste. Diese Nebenstrassen sind mir doch zu kraft- und zeitraubend, irgendwann habe ich die Nase voll, wende mich zurück zur Hauptstrasse D.200 / E90, da kommt man nicht nur besser voran sondern fühlt sich auf dem sehr breiten Standstreifen wesentlich sicherer.
Am Abend - die Sonne geht bereits hinter den Bergen vor mir unter - ist am Wege ein Feld mit roter Paprika - hier decke ich mich ein für heute und morgen, etwas weiter ein Tomatenfeld - auch hier pflücke ich etwas.
Nicht viel weiter dann abseits der Strasse mein Lagerplatz.
Tageskilometer: 58, gesamt: 4236 km
2010_08_12 - Donnerstag, Reisetag 122
Heute bin ich schon 8.oo Uhr auf der Piste - Uluabat, Karacabey - dann geht es von der D.200 auf die D.573 (auf der blöden Nokia-Karte wird die Strasse mit D.565 bezeichnet - ich glaube aber lieber dem was dran steht). An einer Tankstelle halte ich kurze Rast, kippe einen Liter kalte Cola in mich hinein. Im Laufe des Tages überhole ich meinen eignen Schatten - das heisst die Sonne überholt mich! Eine Stoff-Windel die ich in Bodmer/Ungarn bekam dient mir nun als Sonnenschutz, als die Sonne dann von vorn auf mich einstrahlt komplettiere ich das noch mit meiner Bundeswehr-Feldmütze.
Später an der Strasse ein Pfirsichbaum der noch nicht abgeerntet, packe sicher 3-4 Kilo noch oben auf den Gepäckberg.
Zwei Militär-Mannschaftstransporter überholen - die Männer in Kampfanzügen und blauen Baretten staunen nicht schlecht als sie mich rollern sehen!
Mustafakemalpasa, Tatkavakeli, Güllüce - gegen 14.oo messe ich die Temperatur: 47 Grad Celsius. Seker Fabrikata, Susureluk, Sultancayir, Demirkapi.
Bei einem kleinen Restaurant neben einer Tankstelle kehre ich ein, was mir hier als "türkischer Kaffee" angedreht wird entpuppt sich als Nescafe.
Da ich heute meine Kräfte gut einteile, zweimal Siesta halte bin ich am Abend noch einigermassen fit, komme ganz gut voran. Ausser dem Stück Industrie-Kuchen früh esse ich den ganzen Tag nichts als Pfirsiche, zum Abendbrot etwas Brot, zwei Tomaten und eine Paprika. Dafür viel getrunken, ich zähle hier einmal auf: ca. 1/2 Liter Wasser, 2 Liter Coca-Cola, 1 Liter Orangensaft, 1 Liter H-Milch, 1 kleine Tasse Nescafe, 2 kleine Gläschen Tee.
Am Abend geht es noch einmal hinauf in die Berge. In den Becken einer Wasserstelle schwimmen nicht nur zwei riesige Frösche sondern auch noch Krabben oder Krebse! In der Nähe auf einem abgeernteten Getreidefeld unter Eichen ist dann mein Lagerplatz, baue das Zelt auf zusammengesammeltem Stroh auf, es weht ein herrlich kühler Wind hier oben. Als es dunkel ist stehen die Sterne samt Grossem und Kleinem Wagen am Himmel, manche Sternschnuppe fällt vom Himmel - und mich plagen nach langer Zeit einmal wieder Krämpfe in den Beinen.
Mitten in der Nacht kommt eine Schafherde angebimmelt, der Schäfer leuchtet mit seiner starken Lampe die Gegend ab, zwei Hunde stehen vor dem Zelt und kläffen. Es wird eine unruhige Nacht.
Tageskilometer: 91, gesamt: 4325 km
2010_08_13 - Freitag, Reisetag 123
An der Tränke wasche ich mich gründlich, lege mich sogar zuletzt in eines der Becken, dann spüle ich meine Wäsche durch. Bis die einigermassen trocken ist baue ich mir eine improvisierte Feststellbremse fürs Vorderrad aus einem starken Draht den ich gestern fand. Dann geht es weiter, bald ist der Bergkamm erreicht und es bis Balikesir rolle ich meist bergab. Am Ortseingang ist ein "KIPA" Supermarkt, ich kaufe etwas ein. An der Kasse wird mir zuviel berechnet, ich mache die Kassiererin darauf aufmerksam - aber glaubt jemand ich bekomme den Fehlbetrag zurück?
Im Stadtzentrum suche ich lange nach einer Wechselstube, halte später im Schatten eines Baumes am Stadtrand bei einem lauen Efes Siesta. Nun geht es lange bergauf, messe einmal 51,6 Grad Celsius. Bei der Abfahrt dann erreiche ich knapp 72 km/h.
In Gökceyazi treffe ich den Berliner Taxi-Fahrer Metin, der ist mit seinem Taxi für sieben Wochen den langen Weg in die Heimat gefahren, in einer Woche ist sein Urlaub zu Ende und es geht wieder retour. Lange sitzen wir zusammen, ich erfahre einiges über die Verhältnisse in der Türkei. In den letzten 15 Jahren hat sich sehr viel rasant verändert - so rennen jetzt alle nur noch dem Gelde hinterher.
Ivrindi - hier nehme ich den Abzweig quer durchs Land nach Bergama. Hier habe ich den fünften Platten auf meiner Tour, diesmal hinten! in einem Imbiss esse ich recht gut zu Abend, schiebe mit der letzten Luft aus dem Ort heraus und schlage etwas Abseits der Strasse im Dunkeln mein Lager auf.
Auch heute Nacht bimmelt eine Schafherde am Zelt vorbei, im nahen Ivrindi scheinen Umzüge stattzufinden, da geht es ziemlich laut zu.
Tageskilometer: 68, gesamt: 4393 km
2010_08_14 - Samstag, Reisetag 124
Morgens geht ein alter Mann mit grossem Gewehr vorbei. Ich flicke den Schlauch, brauche eine ganze Weile bis ich die Ursache für den Defekt finde: ein winziges Stück dünner Draht.
Yagililar, Mallica Kurucu, Manisa, Dugla, Inesir. Der Asphalt ist ziemlich klebrig, die Strasse windet sich um endlose Berge. Zwei kleine Türme scheinen alte Öfen zu sein - Metallgewinnung oder Kalk Brennen? 20 Kilometer vor Bergama ist eine kleine Ruinenstadt ausgegraben.
Nach Bergama fahre ich kurz rein, trinke zwei Feierabend-Bier, wende mich wieder aus der Stadt heraus und baue das Zelt abseits der Strasse auf.
Tageskilometer: 74, gesamt: 4467 km
2010_08_15 - Sonntag, Reisetag 125
Schlecht habe ich die Nacht geschlafen, stehe schon recht zeitig auf und fahre nach Bergama hinein. Die Ruine der einst grossen Basilika ist beeindruckend in ihren Ausmassen, mit mir ist nur eine asiatische Reisegruppe auf dem Gelände, wahrscheinlich Japaner. Als ich einmal hinter der Gruppe vorbei gehe wirft es mich fast um! Ich drehe mich - die Gruppe steht mit den Rücken zu mir, die Sonne scheint von Osten mitten durch die Ruine, die Köpfe in stiller Andacht gesenkt stehen sie vielleicht eine Minute still zusammen, von ihnen geht diese gewaltige Energie aus die ich spüre. Bewegt stehe ich hinter ihnen und nehme stark berührt Anteil an diesem Erleben!
Mit Basilika wird nur das Hauptgebäude eines grossen Baukomplexes bezeichnet der in der Antike der grösste Einzelbau Pergamons war und etwa Mitte des 2. Jahrhunderts nach Christus, eventuell unter dem Einfluss Kaiser Hadrians errichtet wurde. Der Bauplatz für diese riesige Anlage von etwa 100 x 265 Metern wurde durch Überwölbung des Selinus-Flusses der noch heute diagonal unter dem Vorplatz durch einen mächtigen Doppel-Tunnel fliesst gewonnen. Die Westmauer des Vorplatzes steht nahe der antiken Brücke noch 13 Meter aufrecht, das monumentale Hauptgebäude (60 x 26 m) aus Ziegeln ist heute noch 19 Meter hoch und war mit Platten aus farbigem Marmor verblendet. Der Mittelbau wird von zwei turmartigen Rundbauten flankiert vor denen dreiseitig mit Hallen umgebene Höfe lagen die mit der Front des Hauptbaues in einer Linie abschlossen. Die hier gefundenen Karyatiden und Atlanten (Stützfiguren in Menschengestalt) trugen die Hallendächer. Unter anderem führte ihr ägyptisierender Typus zu dem Schluss dass die ägyptischen Götter Serapis, Isis und Harpokrates hier verehrt wurden. Trotz der Mauern einer byziantinischen Kirche die nach einem Brand Mitte des 5. Jahrh. in das Hauptgebäude gesetzt wurden sind Teile der ursprünglichen Einrichtung wie Marmor-Fussboden, Wasser-Bassins und das Podest für die Kultstatue noch sichtbar. Durch das Loch im Podest konnte der Priester die riesige Statue betreten und so "sprechen" lassen.
Lange steige ich in der Ruine umher - die Gemeinde hier ist vor langer Zeit erloschen, die Eroberer kamen und gingen, die Steine nutzte man jahrhundertelang zum Bau normaler Wohnhäuser.
Den Roller lasse ich bei den Wachleuten an der Basilika stehen, sie empfehlen mir per Taxi oder Auto-stop auf die Akropolis des antiken Pergamon - hier wurde das Pergament erfunden - zu gelangen, die Seilbahn wäre defekt. Nun bin ich nicht den ganzen Weg hierher gerollert um mich auf diesen Berg hier fahren zu lassen, klar dass ich zu Fuss in die Oberstadt steige. Vor dem Aufstieg nehme ich noch ein kühles Tuborg-Bier, trinke das irgendwo im Schatten, komme mir vor wie der müde Wanderer aus der Werbung der Firma. Der Weg ist lang und beschwerlich, je höher ich komme desto kühler weht der Wind, anscheinend folgt die Strasse dem historischen Weg hinauf. Durch die kleine Pforte neben der Strasse betrete ich die Oberstadt, erstmal nichts als Parkplätze, die üblichen Andenken-Läden mit Postkarten und allem möglichen Klimbim, dann der Eintritt mit Ticket-Verkauf. 20 Lirasi (entspricht 10 Eus) sind nicht wenig, zumal da noch nicht mal ein Faltblatt dabei ist.
Hier etwas aus der Geschichte:
- prähistorische Zeit: Besiedlung durch Funde bezeugt
- archaisch-klassische Zeit (6.-4. Jahrh. v. Chr.): lydische, später persische Oberherrschaft
- 334 v. Chr.: Pergamon fällt an Alexander den Grossen
- 281-263 v. Chr.: Philetairos verrät Lysimachos und gründet die Dynastie von Pergamon
- 263-241: Eumenes I.
- 241-197: Attalos I., 229 Schlacht gegen die Galater, Pergamon Königreich
- 197-159: Eumenes II., kulturelle Blüte (Pergamon-Altar, Bibliothek), grösste Machtfülle, Ausdehnung des Reiches bis zum Taurus
- 159-138: Attalos II.
- 138-133: Attalos III. vermacht das Reich testamentarisch an Rom, Pergamon wird Hauptstadt der Provinz Asia
- römische Kaiserzeit: Bevölkerung und Wohlstand wachsen auf etwa 150.000, Ausbau des Asklepieions
- 3. Jahrhundert: Rückgang der römischen Macht, Verkleinerung des Stadtgebietes
- 8.-15. Jahrhundert: Pergamon unter der Herrschaft von Byzantinern, Seldschuken, Osmanen
- 1878: Beginn der deutschen Ausgrabungen
Die Akropolis mit ihren Ruinen von 4 km Mauern, Türmen, Heiligtümern (Athena-Tempel, Trajan-Tempel, Demeter-Tempel, Heroon, Altäre), Bibliothek, Gymnasion, Wohnhäusern, Königs-Palästen usw. ist sehr weiträumig - es braucht nicht viel Phantasie sich vorzustellen welches Leben hier vor etwa 2ooo Jahren pulsierte. Nun sind es alles nur noch tote Steinhaufen, aller Geheimnisse beraubt, die Gebeine von Königen und Heiligen längst aus ihren Gräbern gezerrt, alles was irgendwie wertvoll oder interessant war ausgebaut und verschleppt und ziert nun manches ferne Museum - so zum Beispiel der Pergamon-Altar im Pergamon-Museum zu Berlin.
weitere Infos:
Wasserversorgung und Arsenal
Athena-Tempel und Bibliothek
Trajaneum a,
Trajaneum b,
Trajaneum c,
Trajaneum d
Trajan-Tempel,
Trajan-Heiligtum,
Königs-Paläste
Ohne Roller fällt es leicht mich unauffällig unter die "normalen" Touristen zu mischen, es ist angenehm nicht dauernd angesprochen und begafft zu werden wie ein Irrer oder zumindest wie eine Zirkusattraktion, ebenso nicht ständig nach Roller, Gepäck und Ausrüstung sehen zu müssen. Gegen Mittag steige ich vom Berg herunter, hole den Roller ab und verlasse die Stadt. Bin froh dass ich nicht das enttäuschende Istanbul zum Wendepunkt meiner Reise nahm, beschliesse heute nun wirklich den Rückweg anzutreten, erspare mir Ephesos, Milet und andere antike Stätten zu besichtigen. Dieser Erlebnis mit den Asiaten ist wohl kaum noch steigerbar, den ganzen Tag durchbebt es mich noch sobald ich daran denke!
Kücükkaya, Kurfalli, Yenikent, Kazikbaglari - dann ist das Meer wieder neben mir. Yeni Sakran, Caltilidere - kurz vor Aliaga mein Lagerplatz. In den Bäumen mal wieder diese lauten Tiere, sicherlich Vögel - Tonaufnahme.
Tageskilometer: 47, gesamt: 4514 km
2010_08_16 - Montag, Reisetag 126
Aliaga, Buruncuk, Menemen - hier auf der E87 treffe ich die beiden Franzosen Danielle und Michelle die mit ihrem Tandem und Anhänger schon 6ooo km unterwegs auf dem Weg nach Israel sind, beide über 60 und topfit!
Koyundere, Ulikent, Izmir (das antike Smyrna) riesengross mit knapp 3 Millionen Einwohnern, völlig vom Verkehr beherrscht. Auf der D.300 fahre ich weit am Meer entlang, sehe zu dass ich die Stadt hinter mich bringe. Am Ortsausgang finde ich dann ein kleines Grundstück wo ich mein Zelt aufbaue - normalerweise finden hier Parties statt, doch heute ist alles ruhig, kein Mensch da.
Tageskilometer: 77, gesamt: 4591 km
2010_08_17 - Dienstag, Reisetag 127
Neben dem Zelt ist gleich ein Wasseranschluss, ein Ende Schlauch findet sich und ich habe so eine einfache Dusche, fahre dann ziemlich früh los und so bald wie möglich in Cesme zu sein und eine Fähre nach Ancona / Italien zu finden.
Die 75 km hetze ich nahezu durch, gönne mir nur kurze Pausen, auch die heissen Mittagsstunden nutze ich um auf der D.300 die kaum befahren ist voran zu kommen.
Ungefähr 20 km vor Cesme stelle ich fest dass auch noch der dritte und letzte Halter für den Gepäckträger gebrochen ist! Zum Glück diente mir seit Berlin ein starker Kabelbinder als "Fangband", hatte auch das ganze Gepäck immer noch extra am Steuerkopf mit Spannbändern befestigt - hatte diesen Haltern von Anfang an nicht getraut. Man stelle sich vor die ganze Chose klappt bei einer rasanten Bergabfahrt komplett nach vorne ab - beispielsweise bei einem Schlagloch oder Bodenwelle - die ganze Karre überschlägt sich, wer sammelt dann die Knochen zusammen?
Einige lange Berganstiege sind zu bewältigen, doch irgendwann bin ich über den Kamm der Bergkette, schon gegen 15.30 Uhr in Cesme total ausgepumpt am Fährhafen. Von jedem den ich frage wann die nächste Fähre geht erfahre ich etwas anderes, soviel steht fest: heute geht kein Schiff mehr! Bei "Mascot" unweit des Fährhafens bekomme ich ein Ticket für Donnerstag, muss also noch knapp zwei Tage hier zubringen!
Cesme ist ein teures Pflaster, ich tausche zum 3. Mal Geld. Am südlichen Ortsausgang unweit der Autobahn die hier wenig befahren ist dann mein Nachtlager.
Tageskilometer: 84, gesamt: 4675 km
2010_08_18 - Mittwoch, Reisetag 128
Wenig geschlafen die Nacht, wohl weil ich gestern 5 Liter Cola trank. Morgens geht es an den Stadtrand zurück, bei einem kleinen Supermarkt decke ich mich mit Lebensmitteln und Getränken für den Tag ein, verspeise 850 g dicken Kefir. Im Stadtgebiet sind Archäologen mit Ausgrabungen beschäftigt. Ich suche mir eine ruhige Teestube wo ich den grössten Teil des Tages verbringe, die restlichen Fotos bearbeite.
Später fahre ich den Boulevard rauf und runter, an der Festung vorbei - davor alte Kanonen, bade kurz an einem Strand, bringe den Tag irgendwie herum. Abends finde ich am Busbahnhof ein offenes w-lan-Netz, sitze herrlich im Schatten bei einem Liter Marmara-Bier, ein kühles Lüftchen weht. Bis alle Fotos hochgeladen und die aktuellen mails beantwortet sind wird es dunkel, fahre wieder zum Schlafplatz der letzten Nacht.
Tageskilometer: 8, gesamt: 4683 km
2010_08_19 - Donnerstag, Reisetag 129
Habe gar keine Eile, nach einem ausgiebigen Frühstück packe ich alles zusammen, kaufe noch für die Überfahrt Brot, Tomaten und Cola, schaue noch einmal zum Busbahnhof, doch heute ist kein w-lan zu haben.
Langsam rolle ich zum Fährhafen. Die Zollformalitäten betreffen mich nicht, nur die KFZ werden oberflächlich visitiert, mal eben kurzer Blick in den Kofferraum, ein Deutscher Schäferhund der wohl nach Drogen spüren soll liegt träge im Schatten. Nun geht es auch schon an Bord der "Scotia Prince", Schiff der türkischen Marmara-lines, den Reisenden werden die Pässe abgenommen. Bis zur Abfahrt sind mehr als drei Stunden Zeit, die Fahrt geht bis Samstag 18.30 nach Ancona / Italien, wir sind also mehr als zwei Tage und Nächte unterwegs - das sind 52 Stunden! Zum Glück habe ich noch jede Menge Hörspiele dabei. Internet-Zugang gibt es nicht an Bord, die Klimaanlage sorgt für erträgliche Temperatur. Nur an Steckdosen mangelt es, die wenigen sind bald belegt zum Aufladen diverser Akkus.
13.37 (14.37 Ortszeit) wird die Maschine auf Touren gebracht, bald darauf legt das Schiff ab - alles vibriert - ob das die ganze Fahrt so geht? Ich bleibe im Sessel sitzen, habe keine Lust auf Stadt und Hafen zurück zu schauen. Insgesamt hat es mir bei den Türken nicht gefallen, habe ich zu wenig angenehme Erlebnisse bei ihnen gehabt, die Hochstimmung in der ich mich die ganze Reise über befand ist bereits vor Istanbul verflogen und hat sich nicht wieder eingestellt. Dabei weiss ich noch genau wie ich das Land betrat, voller gespannter Neugier, erwartungsvoll und froh.
An Bord geht es einigermassen geruhsam zu, es nerven nur die anfangs häufigen Lautsprecherdurchsagen, dann ist auch noch eine Einweisung wie die Schwimmwesten zu gebrauchen sind. Im duty-free-shop gibts auch nur Plunder: t-shirts, Badelatschen, Andenken und Modeschmuck, man kann noch nicht mal ein geistiges Getränk erwerben - ein Schild weist darauf hin dass Alkohol erst Samstag zu kaufen ist. Es heisst das hätte der Kapitän angeordnet - damit es auf dem Schiff keine Schlägereien gibt usw.
Viele Türken kommen aus dem Urlaub in ihrer alten Heimat, die meisten fahren nach Frankreich zurück. Einen in Deutschland geborenen Türken lerne ich kennen - Bayram ist Busfahrer in Neuss mit kölner Dialakt und anatolischen Wurzeln, auch er klagt über die Verhältnisse hier, meint dass sich das Land sehr verändert hätte in den letzten zwanzig Jahren, alle nur noch dem Geld hinterher rennen - er überlegt ob er im nächsten Jahr nicht lieber woanders Urlaub macht.
Die sog. "Pullmann"-Sessel stehen im ehemaligen Casino in Vierer- oder Sechser-Reihen recht weit auseinander, sind kaum besetzt - so haben alle genug Platz. Auf so einer 4er-Gruppe zu liegen und zu schlafen ist gar nicht so einfach, die meisten Leute liegen auf der Auslegware des Fussbodens, sogar drei Zelte stehen am Rand und die Insassen haben so eine Art Privatsphäre. Mitten in der Nacht falle ich aus den Sesseln, ziehe nun auch den sauberen Boden vor, schlafe mit etwas Zellstoff in den Ohren ganz gut.
2010_08_20 - Freitag, Reisetag 130
Am Morgen bin ich mit Sonnenaufgang munter, trete kurz an Deck - wir fahren an einigen Inseln vorbei. Im Deck unter uns finde ich zwischen den Kabinen einen Duschraum - ich weiss nicht wie lange ich eine heisse Dusche entbehrt habe! Im "dining-room" bin ich einer der ersten, entgehe so dem bald einsetzenden grossen Ansturm mit langem Anstehen, wähle einen sonnigen Platz am Fenster. Das Frühstühck ist einfach, die Brötchen ein Traum - offensichtlich aus echtem Hefeteig. Der wie üblich nur lösliche Kaffee ein Graus, habe in der Türkei nicht einen vernünftigen Kaffee gefunden - und dabei haben die den Kaffee - und die Kaffeehauskultur - nach Europa gebracht!
Später nehme ich mit Bayram noch ein zweites Frühstück, mache mir ein kleines Paket für den Tag zurecht, kann ihm den Tip mit der Dusche im Deck unter uns geben. Als der Speiseraum lange geschlossen ist merke ich dass ich die Kamera dort liegen liess - doch zum Glück wurde sie vom Personal gefunden oder dort abgegeben!
Mittags werden die Passagiere aufgefordert sich die Pässe abzuholen. Den Rest des Tages passiert nichts weiter, das Schiff läuft ruhig seinen vorbestimmten Kurs. Nur die Nacht ist sehr unruhig, einige ältere Herren schnarchen um die Wette, Kinder rennen durch die Gegend, andere unterhalten sich laut. Freue mich schon wieder auf die ruhigen, einsamen Nächte im Zelt unterm Sternenhimmel.
2010_08_21 - Samstag, Reisetag 131
Nach dem Frühstück wird der duty-free-shop eröffnet, heute ist Alkoholverkauf. Ob die paar Flaschen für alle ausreichen? Von befürchteten Ausschreitungen ist nichts zu merken, die Passagiere sind schon mit Packen beschäftigt, werden langsam unruhig - obwohl das Schiff erst abends in Ancona einläuft.
Einen Scotch Whisky genehmige ich mir auch - die haben hier nur Literflaschen, schreibe zwei Briefe, höre noch ein van-Dusen-Hörspiel. Irgendwie ist es mehr oder weniger immer dasselbe: Mord mittels Zyankali, Ausbruch aus einem angeblich hermetisch verschlossenen Raum, endlose Entführungen - und dauernd die gleichen dämlichen Sprüche, die permanente Dummheit vom Chronisten sowie der Polizei, die Arroganz der angeblichen "Denkmaschine". Und "Professor-Doktor-Doktor-Doktor" kann ich schon lange nicht mehr hören. Die Verwendung von Namen von am Anfang des letzten Jahrhunderts prominenten Zeitgenossen ist billig. Verstehe gar nicht warum diese Radio-Krimi-Reihe einmal sehr beliebt gewesen sein soll! Schlafe vor lauter "Hochspannung" regelmässig bei ein...
Der Tag vergeht auch irgendwie, etwa 18.oo wird dann per Lautsprecher bekannt gegeben dass wir in einer Stunde in Ancona eintreffen werden, doch Land ist noch lange nicht zu sehen. Die Leute die morgens schon gepackt haben suchen nun eilig die Abgänge zu den Wagen, irren mitsamt Gepäck zwischen den Decks umher.
Irgendwann ist Land in Sicht, langsam nähern wir uns Italien. Ein Lotsenboot kommt heran, der Lotse setzt zu uns über. Als wir in den Hafen einfahren gehe auch ich nach unten, verstaue mein Gepäck - dann geht es an Land.
© 2010 Burkhart Rüchel
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