Abenteuer des Schienenstranges
Text und Fotos: Burkhart Rüchel
Eine ungewöhnliche Art zu Reisen: als Tramp auf Güterzügen. Auch das gab es bei der Deutschen Reichsbahn. Jack London beschreibt in: The Road (1907) wie man das Anfang des 20. Jahrhunderts in den USA anstellte. Hier ein Erlebnisbericht von einem der das Mitte der 1980er Jahre in der kleinen DDR probierte, auch mal von der Trapo geschnappt wurde und noch einmal glimpflich davon kam.
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Mit Andy geht es eines Abends zur Eisenbahnbrücke über den Ryck. Wegen der betagten Stahlkonstruktion muß hier der Zug einige hundert Meter vor dem Bahnhof sein Tempo verringern.
Wirklich kommt nach einer Weile ein Güterzug aus Richtung Stralsund in Sicht, wird langsamer. Wir liegen im hohen Gras des Bahndammes, lassen die Lok und mehrere Waggons an uns vorbeidonnern, dann springen wir hoch, rennen ein Stück mit und entern einen der gedeckten Wagen deren Türen offen stehen. Wir kauern uns in eine Ecke und rumpeln kurz darauf durch den Greifswalder Bahnhof. Nun beschleunigt der Zug, unsere Laune ist bestens, wir
tanzen umher, spielen Mundharmonika. Draußen ist es bald ganz finster, in der Ferne ziehen die Lichter einsamer Gehöfte vorbei. Fährt der Zug durch eine Stadt oder einen Bahnhof verziehen wir uns in die Ecken.
Irgendwann jedoch bekommt Andy langsam Muffensausen und will dann doch lieber wieder nach Hause zurück, gibt plötzlich vor seine Freundin am nächsten Tag unbedingt treffen zu müssen. Ich lasse mich also erweichen den Zug beim nächsten Halt wieder zu verlassen. Und das ist dann irgendwo im Nirgendwo, mitten in der Pampa, tiefste Nacht und weit und breit kein Ort zu sehen. Immerhin gibt es eine Straße. Wie sich dann herausstellt hat es uns fast bis nach Jaznick - ein Kaff an der F109 mehrere Kilometer vor Pasewalk - verschlagen. Bald finden wir auch die kleine Station mit Bahnübergang weit außerhalb des Dorfes. Da wir weder Decken, Essen noch Trinken dabei haben wird es eine kalte, hungrige Nacht in einem kleinen Wäldchen.
Am nächsten Morgen versuchen wir dann per Autostop nach Hause zurück zu kommen. Das dauert den halben Sonntag und erst am Nachmittag kommen wir wieder in Greifswald an.
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als ostdeutscher Hobo* von der Trapo** geschnappt
Eine andere Güterzug-Tour hatte ich einige Jahre später auf derselben Strecke, wieder nach Berlin. Per Anhalter (Auto-stop), damals "trampen" genannt, war ich von Greifswald schon ein Stück weit gekommen. Auf der ewig langen Umgehungsstraße von Pasewalk ging dann gar nichts mehr, kein Auto hielt und es wurde langsam dunkel. So wanderte ich über die Felder zum Bahnhof um mich davor an die Bahnstrecke zu stellen und einen Güterzug zu erwischen.
Die ersten drei Züge fahren entweder zu schnell zum Aufspringen oder sind ungeeignet. Beim vierten der sogar hält denke ich: "Nun wirds ernst wenn ich hier noch wegkommen will!" Der ganze Zug besteht aus nach oben offenen Waggons für Schüttgut, an den Enden je eine Eisenleiter. Schnell klettere ich hinauf - alle Wagen sind leer. Hineinkommen wäre kein Problem, doch innen sind keine Leitern, das Hinauskommen über die sehr hohen, glatten Bordwände dann allerdings unmöglich. So bleibt mir nur das Stehen auf den Puffern. Das heißt: mit einem Fuß auf einem Puffer, mit dem anderen auf der Kupplung, ein einziger eiserner Haltegriff außen. Inzwischen zuckelt der Zug bei leichtem Nieselregen los, nimmt Fahrt auf und fährt in den Pasewalker Bahnhof ein, hält dann aber plötzlich auf einem der Gleise des Güterbahnhofes. Ich sehe wie je eine Laterne rechts und links am Zug näher kommt, springe deshalb ab, klettere über einige andere, abgestellte Waggons, verstecke mich in der Dunkelheit und warte bis die Lichter vorbei gewandert sind. Klettere nun wieder auf „meinen" Zug zurück. Als die beiden Männer mit den Laternen das Ende des Zuges erreicht haben machen sie kehrt, leuchten alle Wagen von neuem ab. Ich springe also wieder herunter und verstecke mich.
Als das gleiche Spiel dann am Anfang des Zuges wieder beginnt wird es mir zu dumm und ich beschließe, den Bahnhof zu umlaufen und mich davor zu postieren, erst wenn der Zug ausfährt wieder aufzuspringen. Ich laufe nicht weit und bald zwei Transportpolizisten in die Arme die mir auch sogleich nach kurzer Befragung - ich behaupte von der Straße zu kommen, zum Bahnhof zu wollen und mit einem Personenzug weiter zu wollen - den Personalausweis ab- und mich in Gewahrsam nehmen. Es geht in einen vergitterten Vernehmungsraum, ich muß meine Umhänge- und sämtliche anderen Taschen leeren und dann beginnt schon das Verhör. Auf meine Frage was sie denn von mir wollen erfahre ich daß man "einen Typen mit schwarzer Lederjacke" von einem
Stellwerk aus auf den Puffern stehen gesehen, den Bahnhof verständigt und dort den Zug gestoppt hätte. Mein Einwand, das könne ich gar nicht gewesen sein - meine Thälmannjacke wäre ja braun - entlastet mich nicht, nein, jetzt wird mächtig dick aufgetragen und vom großen, volkswirtschaftlichen Schaden geredet den ich verursacht, sogar den internationalen Fahrplan durcheinander gebracht hätte! Mir rutscht natürlich das Herz ganz schön in die Hose, ich sinke auf meinem Schemel immer mehr zusammen, sehe mich schon im ostdeutschen Strafvollzug verschwinden. Zaghaft frage ich ob denn in dem Zug (der war natürlich inzwischen längst weiter gefahren) wichtige Güter geladen sind? "Natürlich würden dort wichtige Sachen transportiert!" - bekomme ich zur Antwort. Da weiß ich - die bluffen doch bloß, hatte ja gesehen daß das ein Leerzug ist. Lasse nun die weitere Litanei ungerührt über mich ergehen. Irgendwann sind dann die Beamten fertig und gemeinsam überlegen sie was nun mit mir anzustellen sei. Zuletzt werde ich "wegen unbefugten Betretens der Bahnanlagen" mit 20 Ost-Mark Ordnungsgeld belangt. Da ich kaum Bargeld dabei habe bekomme ich die übliche Überweisungsvorlage mit auf den Weg sowie die eindringliche Aufforderung, nun auch wirklich mit einem Personenzug weiter zu fahren.
Als junger Mensch macht man sich ja leider bekanntlich wenig Gedanken über die Konsequenzen seines Handelns. Gedanken was passiert wäre wenn ich bei dem Nieselregen mich bei schwankender Fahrt nicht auf den Puffern hätte halten können oder versehentlich im Niemandsland zwischen Ost- und Westberlin zu landen kamen mir erst im Nachhinein. So war es möglicherweise mein Glück daß diese Fahrt so schnell geendet hat!
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Mit der "Taiga-Trommel"*** durch Bulgarien
Mit Willi trampte ich 1987 bis zum Schwarzen Meer. In Bulgarien standen wir einmal irgendwo auf dem Lande an einer Straße und kamen lange nicht weiter. Parallel verlief eine Eisenbahnstrecke und wir überlegten ob wir nicht besser dort versuchen sollten weiter zu kommen. Allerdings war es noch mitten am Tage.
Plötzlich hält auf dem Gleis auch schon ein Güterzug. Der Lokführer winkt uns, ungläubig sehen wir uns an - meint der wirklich uns? Wir rennen die hundert Meter zur Lok, klettern hinauf und dürfen nun im Führerstand mitfahren! Obwohl wir einander nicht verstehen können - sicher mußten auch die Bulgaren viele Jahre Russisch pauken - ist das natürlich ein Mordsgaudi. Nur ist mir in der Tasche die Milch ausgelaufen und ich muß meine Kamera sauber kriegen - eine uralte ALTIX aus den 1950ern mit Wechsel-Optiken.
Nach Stunden hält der Zug, knapp hundert Kilometer sind wir weiter gekommen, nun klettern wir von der Lok herunter. Stellen uns an die Straße und halten wieder den Daumen raus...
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* Hobo:
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Schwarzfahrer auf Güterzügen (Begriff aus den USA)
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** Trapo:
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Abkürzung, Transportpolizei der DDR
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***Taigatrommel:
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russische diesel-elektrische Güterzug-Lokomitive Typ LTS - M62, Baureihe 200
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